Sie gehört zu Deutschlands besten Voltigierern. Doch im letzten Jahr bekam Paula Waskowiak plötzlich die Schockdiagnose: Krebs. Die heute 21-Jährige kämpfte sich zurück – ins Leben und auf ihr geliebtes Pferd. pferde.de sprach mit ihr über die schlimmsten Momente, den Wunsch nach Normalität – und ihr Herzenspferd Djamiro.
Sie kam mit dem Pferde-Virus auf die Welt: „Meine Mutter hatte schon ein eigenes Pferd, da gab es mich noch gar nicht“, sagt Paula Waskowiak lachend. Und auch die Leidenschaft fürs Voltigieren wurde wohl an sie vererbt. „Meine Mutter voltigierte, zwei meiner älteren Schwestern voltigierten. Da war klar, dass ich es auch mal versuchen wollte.“
Da war sie gerade vier Jahre alt – und zunächst alles andere als begeistert. „Meine erste Stunde war schnell vorbei. ‚Das will ich nicht‘, habe ich danach gesagt. Pferde fand ich toll. Aber nicht das Voltigieren…“
Doch nach einigen Wochen startete sie den zweiten Versuch. Und diesmal sprang der Funke über. Und schnell zeigte sich: Waskowiak ist nicht nur begeistert – sie ist auch extrem talentiert. „Ich kam dann schnell in die Mannschaft, in der auch meine drei Jahre ältere Schwester Emma war.“
Ihr erstes Turnier absolvierte Paula Waskowiak mit fünf Jahren. Doch daran kann sie sich nicht wirklich erinnern. Umso besser hat sie die Junior Trophy von 2014 im Kopf. Bei den westfälischen Meisterschaften für Kinder unter zwölf Jahren trat die damals zehnjährige Waskowiak als Einzel-Voltigiererin an. „Und ich habe gewonnen.“ Das war der Moment, als sie spürte: Das will ich!
Mit 15 im Bundeskader
Seitdem stand sie unzählige Male auf dem Treppchen. 2017 kam Paula Waskowiak in den Landeskader, Ende 2019 in den Bundeskader. Bei ihrer ersten Weltmeisterschaft 2021 holte sie den achten Platz. „Ich war mit einem Ersatzpferd dort.“ Ihr damaliges Pferd hatte kurz davor einen Reheschub und starb kurz darauf. „Da stand ich dann erst einmal ohne Pferd da.“

Ihr Glück: Ihr Verein, der Voltigierverein Volmersdingen in Westfalen, hatte gerade ein neues Pferd gekauft. „Er war noch in der Ausbildung, aber ich dachte: Versuchen wir es.“ Seitdem gehört der Hannoveraner-Wallach Djaibolo, den alle nur Djamiro nennen, zu ihr. „Mit mir hatte er sein erstes Turnier. Und er ist richtig durchgestartet.“
Zu ihren gemeinsamen größten Erfolgen gehört die Deutsche Jugendmeisterschaft 2022 und die Bronzemedaille bei der EM im gleichen Jahr. Doch ihren größten Sieg holte Waskowiak nicht in der Reithalle…
Mit einer Dauer-Erkältung fing es an
Es fing im November 2023 an. Da wurde sie Sportsoldatin, konnte ihren Traum jeden Tag leben. Doch statt die Zeit genießen zu können, war sie ständig erkältet. „Bis zum Januar wurde ich nicht wieder richtig fit.“ Trotzdem trainierte Paula Waskowiak eisern. „Voltigieren war ja jetzt mein Beruf.“
Im Februar fuhr sie dann zum Bundeskaderlehrgang. „Das war unheimlich anstrengend mit den ganzen Trainingseinheiten.“ Wieder zu Hause ging es ihr in der Nacht plötzlich richtig schlecht. „Ich hatte Bauchschmerzen, mir war übel.“
Am nächsten Tag schien alles okay. „Ich hatte es aber meiner Mutter erzählt. Sie ist Hebamme, kennt sich aus. Also sollte ich mich hinlegen und sie wollte meinen Bauch mal abtasten. Als ich da lag, hatte ich eine große Beule am Bauch. Ich war total überrascht, dass ich sie nicht vorher bemerkt hatte.“ Am nächsten Tag fuhr sie zum Arzt. „Da war die Beule aber wieder weg. Er gab mir eine Buscopan und ich fuhr nach Hause.

Sie dachte an alles – aber nicht an Krebs
Als sie in der Nacht aufwachte, war die Beule wieder da. „Ich habe sofort ein Foto gemacht – vorsichtshalber.“ Am nächsten Tag fuhr sie zu ihrem Truppenarzt nach Warendorf. „Da war die Beule zwar auch schon wieder kleiner. Beim Ultraschall hat er dann etwas entdeckt, das etwa 10 Zentimeter groß war. Aber er konnte es gar nicht zuordnen. Er hat mich dann direkt in die Notaufnahme im Krankenhaus geschickt.“
Ein Untersuchungs-Marathon begann, doch die ersten Untersuchungen brachten kein Ergebnis. Nach einem CT kam dann die Bitte, dass Waskowiak mit ihren Eltern zur Besprechung kommen sollte. „Ich habe das nicht wirklich verstanden. Ich war ja 19, also hätten sie es mir auch allein sagen können. Aber sie bestanden darauf, dass meine Eltern mitkommen.“
In dem Gespräch hatte Waskowiak das Gefühl, dass die Ärzte „um den heißen Brei reden. Es hieß dann, es kommt vom Lymphsystem und eine medikamentöse Behandlung könnte helfen.“ Waskowiak überlegt kurz. „Ich habe das überhaupt nicht mit Krebs in Verbindung gebracht. Ich dachte: prima, dann kriege ich jetzt Antibiotika und alles ist gut.“
Ihre Hoffnung: Sie will zur WM 2025
Dass noch eine Biopsie gemacht werden sollte, wunderte sie. Aber auch da war Krebs noch kein Gedanke für sie. „Im Krankenhaus in Münster wurde dann die Gewebeprobe entnommen. Bei der Besprechung war ein junger Arzt da. Und er sagte dann plötzlich, dass sie noch einen zweiten Tumor entdeckt hatten.“ Damit stand Krebs im Raum. „Aber noch wusste niemand, ob die Tumore vielleicht gutartig sind.“ Eine Woche musste sie warten. „Diese Woche war eine Hängepartie. Das war wirklich schlimm.“

In dieser Woche musste sie auch Entscheidungen treffen. „Ich hatte eigentlich eine Woche später einen Wettkampf. Aber da auch von einer möglichen Operation gesprochen wurde, war klar: Das wird nichts.“ Sie sagte den Wettkampf ab. Und schmiedete gleichzeitig Pläne. „Ich wollte zur EM 2024.“ Doch dann wurde klar: Daraus wird nichts. Also steckte sie sich ein neues Ziel: Sie will zur WM 2025. Aber es kam anders.
Sie brauchte sechs Blöcke Chemotherapie
Am 11. März 2024 bekam sie die Diagnose: Lymphdrüsenkrebs. Eine weitere Untersuchung der Gewebeproben zeigte: Es war die aggressivste Art. Damit stand fest: Sie braucht eine Chemotherapie. Sechs Blöcke planten die Ärzte ein. „Jeder sollte eine Woche dauern, danach sollte ich zwei Wochen nach Hause kommen – und dann der nächste Block folgen.“
Aber bereits beim ersten Block zeigte sich: Ihr Körper, der immer auf Höchstleistung programmiert war, konnte nicht mehr. „Ich bekam Fieber, hatte einen Ausschlag am ganzen Körper. Und in der ersten Nacht hatte ich starke Bauchschmerzen.“ Die Sorge der Ärzte: Durch die Chemo könnte nicht nur der Tumor zerstört werden, sondern auch der Darm aufbrechen. Denn der Tumor war in den Dünndarm gewachsen.
Am nächsten Tag stand sie auf, ging auf den Flur – und brach zusammen. „Das war der erste komplette Kontrollverlust“, sagt Waskowiak leise. „An die nächsten zwei Wochen habe ich kaum Erinnerungen.“ Sie bekam Bluttransfusionen, musste künstlich ernährt werden. Die Chemo zerstörte nicht nur die Tumorzellen, sondern auch alle guten Zellen.

Der Stall-Alltag war meilenweit entfernt
Nach den zwei Wochen ging es bergauf und sie durfte nach Hause. „Ich bin im Prinzip direkt vom Krankenhaus in den Stall gefahren“, so Waskowiak lachend. „Nach vier Wochen konnte ich endlich Djamiro wiedersehen.“ Doch so sehr sie den Moment an seiner Seite genoss. Gleichzeitig wurde ihr auch klar: Der Stall-Alltag ist meilenweit entfernt. „Ich stand da mit Mundschutz und spürte nur, dass nichts mehr normal war…“
Die nächsten Blöcke waren eine Qual. „Nach der Chemo-Woche durfte ich immer nach Hause. Aber meist blieb ich nur zwei, 3
drei Tage und musste dann über die Notaufnahme zurück ins Krankenhaus.“ Die Zeit in der Klinik wurde für sie immer unerträglicher. „Du hast dort ja überhaupt keine Privatsphäre.“ Ihre Familie und auch ihre Trainerin, Longenführerin und Freundin Tabea Struck machten ihr immer wieder Mut. Ob sie einmal ans Aufgeben dachte? Waskowiak schüttelt den Kopf. „Das war keine Option. Ich hatte doch auch keine Wahl. Ich musste da durch.“
„Ich kam nicht mal allein aufs Pferd“
Schließlich kam der sechste Block. „Der hat mich noch einmal richtig umgehauen.“ Von der ehemaligen Leistungssportlerin war nur noch die Hülle übrig. „Ich wog 48 Kilo – bei 1,70 Metern.“ Auch mental war sie am Ende. „Da habe ich wirklich gedacht: Ich kann nicht mehr. Jetzt geht nichts mehr.“ Am 11. August durfte sie nach Hause. 12 Tage später hatte sie die letzte Besprechung: Der Krebs war weg, sie war offiziell in der Remission.

Doch nach feiern war Waskowiak nicht. „Ich konnte nichts mehr. Jahrelang hatte ich meinen Körper trainiert und jetzt war alles weg. Ich konnte gerade mal stehen und sitzen.“ Trotzdem wollte sie in den Stall – und auf Djamiro. „Es klingt komisch, aber auf ihm konnte ich im Galopp stehen.“ Alles andere musste sie erst wieder lernen. „Ich kam nicht mal allein aufs Pferd.“
Der erste Wettkampf nach dem Krebs
Es folgten vier Wochen Reha. „Für mich war diese Zeit oft frustrierend, weil es nicht in dem Tempo vorwärts ging, das ich mir wünschte.“ Doch der Wille und die Disziplin, die sie als Leistungssportlerin brauchte, sind immer noch da. „Und für den Kopf ging ich aufs Pferd.“ Im Winter wurde sie zu einem Bundeskaderlehrgang eingeladen. „Ich wusste, dass ich kein Wochenende schaffe. Aber für einen Tag fuhr ich hin.“
Dieser eine Tag war eine Achterbahnfahrt für sie. „Es war so krass, alle wiederzusehen. Und gleichzeitig habe ich eben auch gemerkt, dass ich noch immer meilenweit von allem, was ich mal konnte, entfernt war.“
Doch sie ließ sich nicht beirren – und wurde Stück für Stück wieder besser. Im April nahm sie zum ersten Mal wieder an einem Wettkampf teil. An ihrer Seite war diesmal nicht Djamiro, sondern ein Ersatzpferd. Trotzdem war es für sie ein ganz besonderer Moment.
„Da musste ich mich echt zusammenreißen. Teilweise bin ich heulend eingelaufen. Ich hatte einfach dieses unglaubliche Gefühl von Dankbarkeit.“ Einen Monat später hatte sie in Belgien den ersten Wettkampf mit Djamiro. „Das war wie nach Hause kommen.“

Ihr Trikot erinnert an die Krankheit
Für ihre Kür hat ihre Schwester ihr ein Trikot geschneidert: Die dunkelroten Linien zeigen ihr Lymphsystem. Und auf dem Bauch ist ein Schatten, etwa zehn Zentimeter groß – genau dort, wo der Tumor saß. „Ich habe in der Kür meine Geschichte erzählt.“ Als sie vom Pferd sprang, konnte sie nur noch heulen. „Ich habe mir so gefreut, das alles geklappt hat. Das war mein Lieblingsmoment in diesem Jahr. Dieses Gefühl, dass sich alles gelohnt hat – der Schmerz, der Schweiß.“
Kurz danach startete sie beim Preis der Besten. Er sollte ihr Ticket zur WM sein. „Die WM war mein Ziel im Krankenhaus.“ Das hatte ihr damals Halt gegeben. „Und jetzt wollte ich es erreichen. Ich dachte wirklich, es ist machbar.“ Am Ende landete sie auf Platz 5. „Ich hatte noch ein klitzekleines bisschen Hoffnung.“
Doch sie wurde nicht nominiert. Für alle anderen war es ein Wunder, dass sie schon wieder so weit war. „Es hatte niemand mit meiner Nominierung gerechnet. Trotzdem war ich enttäuscht. Aber gleichzeitig auch extrem stolz und dankbar, dass ich nach so kurzer Zeit wieder vorne mitmischen konnte.“
Durch den Krabs wurde sie dankbarer – und achtsamer
Heute sagt Waskowiak, dass auch dieser Moment sie stärker gemacht hat. Bei den Landesmeisterschaften im Juli konnte sie wieder überzeugen, bei den Deutschen Junioren-Meisterschaften wurde sie danach Zweite. „Das lief richtig gut.“

Der Krebs hat sie verändert, sagt Paula Waskowiak. „Meine Einstellung zum Leben ist anders, auch meine Beziehung zu mir selbst. Ich bin dankbarer, viel achtsamer. Viele Probleme, die mich früher belastet haben, sind heute keine mehr.“ Und auch auf ihren Körper achtet sie mehr. „Ich habe auch deutlich mehr Spaß am Sport. Auf dem Pferd zu trainieren ist für mich, egal wie es mir geht, immer ein Privileg. Aber früher gab es schon Momente, in denen ich dachte: Jetzt muss ich mein Athletiktraining machen. Dieses muss ist ein darf geworden.“
Doch sie gibt auch zu, dass der Alltag als Leistungssportlerin, sie manchmal in alte Bahnen zurückbringt. „Ich habe mir auch selbst schon wieder Druck gemacht“, sagt sie und lacht. „Eigentlich ist das gut. Es ist ein bisschen Normalität.“
Sie möchte anderen Mut machen
In der ganzen Zeit waren viele Menschen für sie da – ihre Familie, Tabea Struck und auch ihr Mentor Jannis Drewell. Doch eine ganz besondere Rolle übernahm Djamiro: „Er war mein Licht am Ende des Tunnels. Mein Motivator. Und er hat mir so viel Sicherheit gegeben, lässt mich nicht im Stich. Er fühlt sich immer wie Zuhause an.“ Der Wallach ist ihr Herzenspferd – und ihre Energiequelle. „Ich verbringe so viel Zeit wie möglich mit ihm und genieße die Zeit im Stall viel mehr.“
Selbst die Box zu misten hat heute eine andere Bedeutung für sie. „Weil ich es jetzt wieder machen kann.“ Manchmal sitzt sie auch einfach nur bei ihm in der Box, genießt seine Nähe – und schmiedet Pläne fürs nächste Jahr. „Wir haben endlich wieder einen normalen Winter mit ganz viel Zeit fürs Training. Das ist eine ganz dolle Motivation fürs nächste Jahr.“
Neben ihrem Sport liegt Waskowiak noch etwas am Herzen: „Ich möchte die Menschen dazu bringen, mehr Bewusstsein im Umgang mit Krebskranken zu entwickeln. Ich habe ja selbst gemerkt, dass ganz viele Menschen unsicher sind. Sie wussten nicht, ob sie mit mir über meine Krankheit sprechen können. Und was.“
Dazu möchte die heute 21-Jährige anderen Betroffenen Mut machen. „Ich möchte zeigen, wieviel möglich ist, wenn man an sich glaubt.“ Auf ihrem Instagram-Account spricht sie offen über ihre Krankheit. Sie möchte Menschen berühren, inspirieren. Und sie bekommt viele Nachrichten. „Einige schreiben, dass ich ihnen Hoffnung mache.“ Waskowiak überlegt kurz. „Alleine dafür hat sich alles gelohnt.“








